Christian Meister„Wenn du laufen willst, lauf eine Meile. Wenn du ein neues Leben kennenlernen willst, dann laufe Marathon.“ – dieses Zitat stammt von Emil Zátopek, der nicht nur als tschechischer Olympiasieger im Marathon 1952 glänzte, sondern auch durch markige Sprüche oftmals aufzeigte. Philosophisch betrachtet ist das ganze Leben ja irgendwie ein Marathon, mit Höhen und Tiefen, Emotionen, Freude, Konsequenz, Durchhalten und Resilienz – da gebe ich Emil Zátopek jedenfalls recht.

Dieses Denken hat mich 2008 noch nicht geleitet, als ich mit dem Laufen begonnen habe. Hintergrund war vielmehr, eine Grundfitness zu schaffen, nachdem ich bei einem Hobbyfussballspiel sehr schnell außer Atem kam. Nach moderaten drei Laufjahren und einem Start im Rahmen eines VCM Staffelmarathonstarts im Jahr 2011 hat mich die Faszination Marathon ergriffen. Im Oktober 2011 stand ich zum ersten Mal an einer Startlinie für 42,195 KM in Graz mit dem Ziel, diese Distanz in weniger als vier Stunden zu schaffen. Letztlich kam eine Zielzeit von 3h59min57sec heraus – Punktlandung und Euphorie. Es folgten Starts in Wien und nochmals in Graz, ehe ich zwischen 2014 und 2019 an keiner Startlinie mehr gestanden habe, jedoch in Eigenregie – unstrukturiert und ohne Trainer:in – weiterhin konstant am Ball geblieben bin. Während dieser Jahre hätte man mich aufwecken können und sagen können: „Lauf einen Marathon zwischen 3h30 und 3h45“ und es hätte geklappt. Das Fitnesslevel hielt ich konstant hoch. Was mich reizte? Nicht die Läufe sondern das Wissen, dass ich die jeweiligen Zeiten laufen könnte.

2019 kam ich über einen Freund wieder zum VCM und habe mit konsequentem Training eine Zeit von 3h25min erreicht sowie beim LCC Herbstmarathon 2020 (in der Corona-Edition) unter entrischen Bedingungen im Halbdunkeln auf der Prater Hauptallee an einem Sonntag-Nachmittag eine Zeit von 3h09min erreicht. Das war meine bisherige Bestzeit. Soviel zur Vorgeschichte. Ich bin in den letzten zwei Jahren im Jahresdurchschnitt auf mehr als 100 Wochenkilometer gekommen und bei mir stellte sich die Frage, ob das wirklich alles war und was ich mit Ende 30 läuferisch noch erreichen kann? Eine Leistungsdiagnose war hierzu für mich eine gute Ausgangsbasis. So kam ich nach einer Internetrecherche zu Tristyle und absolvierte im Studio die Leistungsdiagnose am Laufband. Die daraus resultierenden Werte zeigten, dass wie ich vermutet habe, in der aktuellen Fitness eine Zeit unter 3h-Marathon erreichbar sein müsste. So startete meine Zusammenarbeit mit Elisabeth Niedereder und dem Tristyle-Team per Juli 2021 mit dem Ziel, den Marathon in Wien unter 3 Stunden zu laufen. In den letzten Wochen habe ich jede der in die Tristyle-App eingestellten Trainingseinheiten absolviert und die Varianz sowie die neuen Trainingsimpulse genossen. Tempoeinheiten, regenerative Läufe, Long-Jogs, GA1 und GA2-Läufe, Alternativtrainigs und Bodyweight sowie Streching sind neue Inputs und es tat mir sowie meinem alten Trainingstrott sehr gut. In dieser Zeit habe ich meine Geschwindigkeit wesentlich erhöhen können sowie gefühlt für mich ein neues läuferisches Level erreicht. Das möchte man natürlich auch am Zeitpunkt X – in meinem Fall beim geplanten Wettkampf Vienna City Marathon 2021 – zeigen und die Zielsetzung war ein Sub-3-Marathon.

In den Tagen vor dem Marathon-Start hegte ich teilweise Zweifel, ob das aktuelle Fitnesslevel wirklich ausreicht, um mein Ziel zu erreichen. Der Kopf und die Gedanken schützen einen auch, sich selbst weh zu tun. Die Vorbereitungen liefen gut und auch meine Gedanken waren bereits in den Vortagen intensiv beim Marathon. Auch mein familiäres Team war mit am Start: meine Frau und meine beiden Kinder – denen besonderer Dank gilt, da ich ohne sie sowohl das Training als auch jedes bisherige Rennen nie so gut geschafft hätte. Trotz aller Vorbereitung und Training war ich jedenfalls vor dem Start ungewöhnlich angespannt und fokussiert beziehungsweise froh, als endlich der Renntag kam.

Der Tag startete um 6 Uhr morgens mit einer großen Schüssel Haferflocken und ausreichend Flüssigkeit, ehe es um 7:30 Uhr zum Start ging. Das Startsackerl hatte ich schon am Vortag gerichtet, um jeglichen kurzfristigen Stress am morgen zu vermeiden. Nach der Ankunft im Startbereich das übliche Prozedere und Eindrücke wie Abgabe des Startsackerls, lange Wege, herumirrende Läufer, sich einlaufende Menschen, lange Schlangen vor den Dixi-Klos, epochale Musik, Nationalhymne, die Welle für die TV-Bilder, Sponsorenwerbung, anheizende Moderatoren und so weiter. Die einen mögen diesen bunten Mix an Eindrücken am Start, die anderen nicht. Ich gehöre eher zur letzteren Gruppe und gehe vor dem Start noch gerne in mich beziehungsweise habe es gerne ruhig. Punkt 9 Uhr und zwei Minuten nach den Elite-Läufern fiel der Startschuss und ich starte vom Block I. Elisabeth hat geraten, die ersten Kilometer in einer Pace von 04:20 zu laufen und gegebenenfalls kontinuierlich zu steigern. Es lief gut an und eine Pace von 04:15 war gut haltbar – ab in die Prater Hauptallee auf den Spuren des Sub-2-Marathonjahrhunderläufers Eliud Kipchoge, die Lände herauf und bei KM 12, Naschmarkt, wartete meine Familie mit Eigenverpflegung (Maurten Hydrogel 320) und Anfeuerungen. Es war zu dieser Zeit bereits recht warm mit Temperaturen von über 20 Grad Celsius und stadtauswärts teilweisen Windböen. Nach der Schleife beim Schloss Schönbrunn ging es wieder retour und bei KM 19 war der zweite Verpflegungs- und Treffpunkt mit meiner Familie. Bis Halbmarathon lief alles soweit nach Plan mit einer Durchgangszeit von 1h30 min geschafft. Die folgenden Kilometer gehen sanft bergab und die Pace lässt sich leichter halten bzw. habe ich versucht ein Zeitguthaben aufzubauen. Es folgte die Lände dem Donaukanal runter, KM 26 nächster familiärer, privater Verpflegungspunkt, wieder Maurten Hydrogel. Warm ist es und der Wind kam gefühlt aus unterschiedlichsten Richtungen. Zum zweiten Mal in die Prater Hauptallee, Stadion, Lusthaus sowie wieder retour durch die Motivation der Bilder von Eliud Kipchoge im Kopf positiv getragen. Dennoch wurde es zunehmend mühsam, einerseits die Beine, anderseits der Kopf. Bin zu diesem Zeitpunkt heilfroh, wenn der Marathon endlich vorüber ist und es wird schwerer, die Pace zu halten. Ein positiver Split wie aus dem Lehrbuch tritt ein und die Pace fällt auf teilweise 4:30 min herunter. KM 37 und letzte private Verpflegungsstation. Ich verabschiede meine Familie „bis gleich daheim“ und laufe die Flasche greifend die Rustenschacherallee in Richtung Ziel.

Christian MeisterIch sah ab KM 32, dass eine Sub-3-Zeit nicht mehr möglich ist, jedoch eine starke Verbesserung gegenüber meiner bisherigen Bestzeit von 03h09min jedenfalls schaffbar ist. Es trat das Alternativszenario ein und ich wollte das Rennen sicher durchbekommen. Gedanklich teilte ich mir die letzten KM in mir bekannte Trainingsstrecken ein, um es mir kurzweilig erscheinen zulassen. Besagter Emil Zátopek sagte Überlieferungen nach auch mal: „Der Marathon ist ein sehr langweiliger Wettkampf.“ Ich war daher immer wieder dankbar für Anfeuerungen vom Streckenrand und das half auf den letzten beiden Kilometern am Ring noch sehr gut um mich selbst voranzubringen. Endlich das 500m-Schild und ich versuche die Geschwindigkeit noch anzuziehen. Mit dem Wissen, dass ich mein B-Ziel sehr gut erreicht habe, kam ich strahlend ins Ziel und schaffte die Distanz in 3h02min38sec. Sub-3 klar verfehlt und ein Suchen nach Ausreden bezüglich Wärme, Wind etc. ist müßig. Habe ich alles gegeben? Meine Emotion schwankte im Ziel zwischen Lachen und Weinen. Mit meiner Finisher-Medaille um den Hals torkelte ich aus dem Zielbereich, holte meine Sachen und schickte ein Ziel-Selfie an meine Familie. Geschafft und ich bin froh darüber. Bin ich zufrieden? Das B-Ziel habe ich erreicht und die Zielzeiten waren generell nicht so gut. Eine Verbesserung gegenüber der bisherigen Bestzeit um mehr als 6 min ist in diesem Bereich jedenfalls respektabel. Weiters ist die Platzierung mit Gesamtrang 115 für mich sehr gut. Ich habe weiters gesehen, wie gut das Training in den letzten Wochen angeschlagen hat und ich freue mich auf weitere spannende Trainingseinheiten sowie die weitere Zusammenarbeit mit Tristyle.

Als Fazit kann ich sagen, dass es vermutlich besser ist, nicht gleich das Sub-3-Ziel erreicht zu haben, denn dann wäre die Frage, was nun? Diese Frage kann ich nun umgehen und nach dem Marathon ist ja bekanntlich vor dem nächsten Marathon. Bis dahin erfreue ich mich des Trainings und dem Wissen, was wäre gewesen wenn.

Christian Meister

Christian Meister

Betriebswirt, HR-Manager, Business-Coach und  vor allem liebender Familienvater (2 Kinder) sowie passionierter Läufer (seit 2008). Neben Laufen auch interessiert an Alternativsportarten wie Rennrad und Schwimmen. Lebt in Wien und versucht als Steirer möglichst oft aufs Land zu kommen und die Natur sportlich zu genießen.