Melanie RaidlSeitdem ich meiner besten Freundin bei der Vorbereitung auf ihren ersten Halbmarathon helfe, habe ich erst wirklich wahrgenommen, dass ich es mit der Angst zu tun hatte. „Und warst du nervös?“, habe ich sie gefragt, als bei ihr ein anstrengendes Fahrtspiel anstand. Ich erwartete mir eine Antwort wie „Ich hatte echt Angst davor.“, oder „Ich hatte ein mulmiges Gefühl vor dem Start“. Stattdessen kam aber nur „Nein, ich dachte mir einfach, dass es wohl anstrengender wird.“ Wow, sie hat also keine Angst.

Seit einiger Zeit beschäftigt mich das Thema Angst vor dem Training. Genau genommen, seitdem ich sie bereits besiegt hatte. Immer wieder frage ich mich, warum ich dieses nervöse Gefühl im Magen in der Vergangenheit immer wieder hatte, bevor ich hart trainieren sollte. Was war das Problem?

Zu hohe Ansprüche

Wir ambitionierten HobbyläuferInnen haben meist ähnliche Ambitionen wie die Profis. Bei jedem Marathon wollen wir schneller sein. Wir wollen keinen Mann mit dem Hammer, wir wollen, dass alles geschmeidig läuft, wenn der Wettkampf ansteht. Wir wollen uns selbst beweisen, dass wir hart für unser Ziel gearbeitet haben, mit brennenden Laktatbeinen die Bahn attackiert haben. Die Disziplin, das frühe Aufstehen oder das Laufen nach einem harten Arbeitstag sollen sich lohnen.

Auch bei mir ist das nicht anders. Während ich mich auf den berühmten „Long Jog“ jeden Sonntag und die Standard-Dauerläufe im Trainingsplan immer richtig gefreut habe (Was sollte bei Herzfrequenz 125 schon wirklich schieflaufen?), waren es diese fiesen, rot markierten Trainingseinheiten, die mir Sorgen bereiteten. Die, die aber für die Geschwindigkeit und die Ausdauer im Wettkampf den Unterschied machen. Die, welche dich aus der kuscheligen Komfortzone des Gemütlichkeits-Joggers herausholen. Die Intervalle, die Tempo-Dauerläufe und die Fahrtspiele. „Werde ich die wirklich durchziehen können?“, war fast immer mein Standardgedanke. Ich bekam Versagensängste.

Ich erinnere mich noch genau auf die Vorbereitung für eine Staatsmeisterschaft im Halbmarathon in Graz, vor etwa zwei Jahren. Ich hatte eigentlich das Gefühl, dass die Vorbereitung gut läuft, auch trotz erstem Vollzeitjob. Einziges Manko: Die harten Trainingswochen brachten mich schon die Woche vor dem Wettkampf ins Grübeln. Was ist, wenn ich nicht auf die vorgegebene Geschwindigkeit komme? Traut mir meine Trainerin zu viel zu? Bin ich tatsächlich so weit, dass ich es schaffe, so eine harte Einheit zu laufen?
Schon Tage vor einer Intervall-Einheit auf dem Programm, redete ich mir ein, ich müsse mich bestens erholen und auf die Ernährung achten, damit ich sie auch wirklich richtig durchziehen kann. Früh aufstehen, richtig aufwärmen, bereits etwas Gezuckertes trinken, auf keinen Fall die Nacht davor zu wenig schlafen.

Dieses Gefühl kann man mit der Nervosität vor einem Wettkampf vergleichen. Man steht in der Menge vor dem Startschuss, es kribbelt im Bauch, gleich muss man Vollgas geben. Ich weiß noch, an einem Tag schrieb ich meiner Trainerin eine SMS: „Lissi, glaubst du wirklich, dass ich die vier Kilometer in 4:15 (min/km) anhängen kann?“ (Und das nach bereits 6 schnell gelaufenen Kilometern), weil ich mich ganz einfach fürchtete. Die Angst, dass ich die Geschwindigkeit nicht durchhalten könnte, dass ich außer Atem komme, war zu groß. Ich stellte mir vor, wie ich es niemals schaffen würde, meine Tempoziele zu erreichen und wie ich beim Halbmarathon bei Kilometer 16 nur noch so dahintrabe, meine Beine aufgeben und ich aufhören muss. Trainerin Lissi meinte: „Ja sicher“. Und sie hatte recht. Nicht nur für diese Einheit. Den Halbmarathon bin ich 4:16 (min/km) durchgelaufen. Und im Training hatte ich Angst, dass ich vier Kilometer nicht in dem Tempo schaffe.

Und am Ende des Tages: Ja, eine Tempo-Einheit oder ein Intervalltraining ist richtig anstrengend. Dir kann übel werden, du kannst Atemnot bekommen, du kannst dehydrieren. Allerdings ist das der absolute Ausnahmefall, etwa wenn du krank bist, dich schlecht, zu wenig oder zu viel ernährt hast, oder doch die Nacht davor zu viel gefeiert hast. Der Sinn dieser harten Einheiten ist aber nicht, sich komplett zu zerstören oder bis zum Umfallen zu rennen. Der Sinn ist, und das habe ich auch erst lernen müssen, dass sich das Herz und der Körper an die anaerobe Belastung gewöhnen, wir auch unter starker Belastung noch schnell laufen können. Das bedeutet aber nicht, dass ein Intervalltraining nur dann gut war, wenn man richtig aus der Puste ist. Manchmal reicht das Gefühl, die Komfortzone verlassen zu haben.

Keine Angst vor dem Versagen

Als ich gemerkt habe, dass ich aufhören muss Angst vor dem Training zu haben, war bei einem Trainingslager in Andalusien vor einigen Jahren. Ich sollte mit einem Trainingspartner dreimal 3-km-Intervalle laufen. Und seien wir uns ehrlich: Natürlich war da auch die Angst dabei, dass mir der Partner davonschießt und ich hinter ihm zu Grunde gehe. Die erste Runde lief ich fast im Sprint, ich kam beim Startpunkt an, konnte kaum noch atmen, es fühlte sich an wie der Zieleinlauf einer Staatsmeisterschaft. „Nie im Leben schaffe ich noch zwei davon“, dachte ich mir. „Das kommt davon, wenn du zu schnell beginnst“, meinte Trainerin Lissi, die merkte, dass ich mich selber unter Druck setzte, und, nun ja, extrem rot im Gesicht war. Ich sollte die nächsten beiden Runden forciert, aber kontrolliert angehen, oder: mich nicht aus dem (Läufer-)Leben schießen. Und so ging es weiter in dem schattigen spanischen Wald nahe der Küste, forciert, anstrengend, aber kontrolliert. Mir fiel auf, wie viel es ausmacht, einen Partner und eine Trainerin dabei zu haben, die einem die Laufschuhe zurück auf den Boden holen, wenn man selbst denkt man muss fliegen.

Wie vielen anderen LäuferInnen oder SportlerInnen auch, fällt es auch mir oft schwer, mich nicht nur dann zu loben, wenn ich absolut ausgepowert bin und meine Trainingsziele erreicht habe. Loben sollte sich jeder, der eine Einheit auch mit Komplikationen durchzieht, ganz gleich, wie das Tempo oder die Distanz an diesem Tag war. Wir sind Menschen, nicht Maschinen, und gelaufen wird, weil Laufen Spaß macht, stark macht und Selbstbewusstsein gibt. Und wenn die Intervalle eben um einige Sekunden langsamer waren, als noch die Woche davor, heißt das nicht, dass man sich verschlechtert. Oft spielen im Training dutzende Faktoren mit, damit es gut läuft: Habe ich gerade beruflich/privat viel Stress? Habe ich genug geschlafen? War das Training die letzten Tage bereits sehr anstrengend? Und im Endeffekt auch: Wie geht es mir heute? Wie ist das Wetter? Werde ich krank?

Aber was hilft nun gegen die Angst vor dem Training?

Nach meiner Einsicht in Andalusien brauchte ich noch lange Zeit, um die Angst vor dem individuellen Training und dem eventuellen Versagen zu besiegen. Meine schnellen Einheiten kontrolliert, aber mit Power zu absolvieren, mich selbst nicht zu stressen, mir einzureden, dass ich das Tempo nicht durchhalte: das wollte ich erreichen.

Zunächst: Mit anderen AthletInnen darüber sprechen. Es ist erstaunlich, wie ähnlich es LäuferInnen geht, vor allem denen, die sich für Straßenwettkämpfe vorbereiten. Sich über Ängste im Training und Zweifel um die eigenen Fähigkeiten mit anderen auszutauschen kann wirklich Wunder wirken, denn man kann sich gegenseitig aufbauen. Noch besser: Zusammen trainieren. Selbst wenn man nicht die gleiche Pace läuft. Es kann wirklich helfen, zusammen auf der Laufbahn aufzukreuzen, zusammen aufzuwärmen und einfach während des Trainings zu wissen, dass jemand da ist, der einen wieder aufbaut wenn es nicht gut läuft, oder einfach zwischendurch ermutigt. Auch ich habe mich bei den Intervallen der Trainingsgruppe, die meine Trainerin trainiert, einmal angeschlossen und bemerkt, wie viel besser es für mich lief, wenn ich in der Gruppe mit anderen lief, die mich sofort anfeuerten, wenn ich etwas hinten nach war im Intervall. Und: Wenn man mit anderen zusammen läuft, bemüht man sich doch ein bisschen mehr.

Zweitens: Sich selbst zu fragen, wovor man überhaupt Angst vor dem Training hat. Seine Zielzeit nicht zu erreichen? Das ist meistens ein Blödsinn. Absolviert man etwa einen Laktattest vor einer Trainingsplanerstellung, weiß die Trainerin/der Trainer genau, auf welchem Level man ist, und wird keine 1-km-Intervalle in 3:30 einplanen, wenn man sie laut Test-Ergebnis in etwa 4:30 laufen kann. Die Zielzeit für einen Wettkampf wird wohl auch dann nicht beeinflusst, wenn sich das Intervall- oder Tempotraining ein paar Mal nicht gut angefühlt hat. Den Unterschied macht immerhin immer noch die Balance zwischen schnelleren und langsamen Einheiten und die Abwechslung im Training. Läuft man jedes Mal beim Intervall- oder Tempotraining viel langsamer, als man sich vorgenommen hatte, hilft ein Gespräch mit dem/der Trainer(in), eventuell sollten die Zeiten einfach angepasst werden.

Und Drittens: Sich ein bisschen auf den Boden der Tatsachen zurückholen. Laufen soll immer noch Spaß machen, auch wenn man für einen Wettkampf oder Marathon trainiert. Immerhin nimmt das Training viel Zeit der Freizeit ein, und die sollte man eigentlich genießen können. Man muss sich klar machen, warum man eigentlich läuft. Die Freude an der Bewegung, die Begegnung mit der Natur, das extrem gute Körpergefühl auch im Alltag oder bei Befindlichkeiten, die gesundheitlichen Vorteile und die sozialen Erlebnisse: das habe ich einst für mich resümiert. Aber auch der Nervenkitzel und der Adrenalindrang, wenn ein Wettkampf ansteht.

Über die Jahre hinweg als Läuferin habe ich irgendwann meine eigene Routine gegen Angst vor dem Training entwickelt. Während ich mein Glas Wasser trinke, meine Schuhe schnüre und meine Wettkampfmusik in die Ohren stöpsle, mache ich mir klar, dass ich erstmal beim Aufwärmen in mich hineinhören kann, wie es mir geht und wozu ich an diesem Tag im Stande bin. In den allermeisten Fällen läuft das Training dann immer viel besser als davor gedacht. Klar, Fitness und Schnelligkeit hängt natürlich auch davon ab, wie regelmäßig man trainiert, wie gut man regeneriert und wie man sich ernährt. Von nichts kommt ja auch nichts, das ist klar. Allerdings sind es wir Hobbysportler, die schon durch den Aufwand mit dem täglichen Lauftraining, Cross-Training, Kraftübungen und der aktiven Regeneration einen Applaus verdienen. Das und die Disziplin macht uns schon zu SuperheldInnen.

Melanie Raidl

MelanieRaidl

Ambitionierte Langstreckenläuferin, jagt als Bergläuferin auch Höhenmeter. Trainiert seit einigen Jahren bei Tristyle und hat seitdem bei zahlreichen Halbmarathons, Marathons und 10 Kilometer Läufen in Österreich und Ausland teilgenommen. Verbindet gerne ihren Job im Journalismus mit Sportthemen, liebt die Natur, mag gesunde Ernährung und ist Veganerin.