„Achtung: 4km steile Passage, Kräfte gut einteilen.“ Steht auf dem Hinweisschild vor mir.
4km schieben, ab und zu treten versuchen, fluchen, weinen, verzweifeln. Mental am Abgrund, mit den Gedanken schon fast im Ziel. Irrglaube! Der Mann mit dem Hammer, dem richtig großen Hammer, kommt noch mal. Und schlägt dann richtig zu. Aber alles der Reihe nach.
Ein Rad, ein Tag!
Einmal im Jahr so richtig leiden. So muss es sein. Corona bedingt stand 2020 kein Ironman am Plan.
So wurde die „Stoneman- Idee“ spontan geboren. Angemeldet, nicht vorbereitet (richtig, NICHT!) und ab zum Start. Medial bekannt ist der so genannte Stoneman unter Mountainbiker. Hier gilt es im Alleingang die vorgeschriebene und markierte Runde über knapp 140 Kilometer und beinahe 5.000 (genau 4.829) Höhenmeter durch die Alpen per Bike zu treten. Auch schieben und tragen.
Mit so gut wie keiner Vorbereitung, jedoch richtig Bock, eine geile Radrunde zu fahren, setzte ich mir in den Kopf, diese an nur einem Tag zu bewältigen. Gewählt kann zwischen ein, zwei oder drei Tagen werden. Je nach körperlicher Fitness, muss die Route in der gewählten Zeit gefahren werden. Kontrolliert wird per Checkpoint an der Strecke, Labestationen gibt es nicht. Und wenn dann, will ich eine goldene Trophäe, daher EIN Tag!
Longest day ahead!
Start im Morgengrauen, Ziel in der Dunkelheit. Mit Gelassenheit und Vorfreude startet ich früh morgens mein Abenteuer. Mit vollgepacktem Rucksack am Rücken verließ ich den Ort Flachau und strampelte Richtung ersten Checkpoint. Dieser befand sich auf der ersten Bergspitze. Bereits bei den ersten tausend Höhenmeter wurde mir bewusst, es wird ein verdammt langer Tag. Höhenmeter mitten im Wald, auf Forststraßen und Wurzelwegen ziehen sich. Das Tempo ungleich einer Bergfahrt am Rennrad. Gerade noch so, dass man sich vorwärtsbewegt.
Nach Erreichen des zweiten der vier Berge, Pausenzeit. Bis dahin, habe ich mein Rad bereits über viele Streckenabschnitte geschoben. Zu unwegsam, zu viel Dreck und Gatsch, zu geil! Denk ich mir in diesen Moment zumindest noch. Nach Cola und Kaiserschmarrn auf der Berghütte beginnt der Funfactor. Kurz. Downhillpassagen über Bretter und Wurzeln, bämm, da lieg ich. Wieder mal.
Schrammen und Blessuren machen das Mountainbiken ja erst zu dem, was es ist.
Kein Ende in Sicht!
Mittlerweile hat sich der Spaßfaktor verabschiedet und der Leckt-mich-am-Arsch-Faktor hat stattdessen überhand eingenommen. Ewig lange und immer leicht aufwärts zieht es sich Richtung der nächsten Hütte. Immer weniger Lust, immer mehr Schmerzen, Übelkeit, Hunger, einfach alles, macht sich bemerkbar. Nach einem schnellen Hütten- Cola nehme ich mir vor, den nächsten steilen Abschnitt irgendwie zu bewältigen. Genau. Irgendwie. Nahe am Rande der Verzweiflung schob und trug ich mein Rad Richtung Wintersportgebiet Obertauern. Immer wieder zogen Regenschauer vorbei. Immer später wurde der Tag. Immer weniger Energie hatte ich noch. Nach einer kleinen Motivations- Auffrischung in Form einer Highspeed Abfahrt rollte ich den Radweg entlang. Mental schon im Ziel. Einzig die Zahlen auf meinem Garmin Radcomputer stimmten mich negativ. Es fehlen noch Höhenmeter. Naja, mit 4.500HM war die Runde betitelt, werden es halt einige weniger sein. Irrglaube!
Und es geht bergauf!
Eine verdammte Ewigkeit. Nein zwei!
Der Schlussanstiegt hörte nicht auf. Beinahe ewig fuhr ich eine Waldstraße nach oben. Die Dunkelheit brach herein. Ein Aufgeben so kurz vor dem Ziel kam natürlich nicht in Frage. Ein Aufgeben kommt nie in Frage. Uns so sagte ich mir gut 1 Stunde lange immer wieder den gleichen Satz laut vor: Nicht aufhören zu treten, nicht aufhören zu treten, usw.
Da war er nun, der letzte Checkpoint. Nach Weg suchen, letzten Downhilltrail hinunter in die Flachau bei fast kompletter Dunkelheit, ein paar Mal noch verfahren, war ich da. Da im Ziel. Da bei meinem Auto. Angekommen.
Eines fehlte jedoch. Die unglaubliche Euphorie. Die Glücksgefühle. Die fehlen bei mir so gut wie immer nach so extrem langen Anstrengungen. 15 Stunden und 45 Minuten war ich gesamt unterwegs. Ich fühle danach meistens nur zwei Dinge. Übelkeit und Müdigkeit. Die Freude kommt erst dann, wenn mein Kopf mental alles verarbeitet hat. Wenn ich zuhause in der Badewanne liege. Natürlich ging sofort eine Whatsapp raus an Lissi. Meine Trainerin und mittlerweile auch sehr gute Freundin. Sie wusste nämlich nichts von meiner, nicht wirklich geplanten Aktion. Der Richtigkeit halber ist aber zu erwähnen, dass ich in den Jahren 2018/2019 extrem viel Ausdauersport unter Lissis professionellen Blicken betrieben habe. Ich startete nicht als Sportanfänger in das Abenteuer Stoneman rein. Eine sehr gute Grundbasis ist natürlich da. Welche ich über die letzten 20 Jahre als Ausdauersportler und vor allem in den letzten Jahren mittels Tristyle Trainingsplan aufgebaut habe. Einen gewissen Klacks an der Waffel sollte man natürlich dennoch mitbringen. Schadet nie.
Emanuel Sabitzer
…auf der Suche nach seinen persönlichen Grenzen! Nach vielen Jahren im Radsport, wechselt er zum Triathlon, um am 07.07.2019 beim Ironman Austria am Start zu stehen. Neue Reize setzten, Grenzerfahrungen sammeln – Dinge die ihn motivierteren, weiter zu machen, nicht stehen zu bleiben! Er schreibt gerne, er schreibt viel. Über Training, Wettkämpfe, Ernährung. Über Körper und Geist. Über Motivationslöcher und Sportsucht. Provokant, ehrlich und vor allem authentisch!